WOLF: aus der „Aktivitätenhölle“ im Wald
Als am 03.11.2023 in der gut gefüllten Aula des GO Saša Stanišić aus seinem Jugendroman „Wolf“ las, konnte noch niemand ahnen, dass nur ein knappes Jahr später eine dramatisierte Fassung (Skript und Dramaturgie: Diana Tappen-Scheuermann) als Musiktheater auf derselben Bühne Premiere feiern würde. In Kombination mit den Liedern der Rockgruppe Queen (musikalische Leitung: Marc Ziethen) wird eine Geschichte von einem Jugendlichen für Jugendliche und Erwachsene erzählt: eine optimale Voraussetzung für ein Jugendtheater, das glaubwürdig, professionell und modern inszenieren möchte.
„Wolf“ spielt in einem Ferienlager im Wald, in das Kemi unfreiwillig mitfährt und das für ihn schon bald zur „Aktivitätenhölle“ wird („I want to break free“). Für Jörg, seinen Mitbewohner im Zelt, wird es noch ungemütlicher, denn er wird von Marko und seinen Mitläufern schikaniert. Kemi beobachtet das systematische Mobbing und stellt fest, je mehr er darüber nachdenkt, desto „unwahrscheinlicher wird Jörgs Happy End.“ Was Kemi daran hindert einzuschreiten, sind seine eigenen Ängste, die sich in dem mysteriösen Wolf manifestieren, der nachts beim Zelt vorbeischaut (Technik und Bühnenbild: Sebastian Polag). Während die ebenso motivierten wie unfähigen Betreuer („Play the Game“) noch nicht einmal Jörgs Namen kennen, lenkt sich dieser mit Zeichnen ab („Don’t Stop Me Now“). Allein der Koch durchschaut die Situation und mahnt: „Dumm sein ist erlaubt, dumm tun nicht.“
Bei der Lesung am Gymnasium Oberursel fragte die Zehntklässlerin Helene den Autor, warum er ein Buch zum Thema Mobbing geschrieben habe. Die Erfahrung, Zeuge eines Mobbing-Falls zu werden, habe Saša Stanišić selbst in seiner Schulzeit in Heidelberg gemacht. Das falsche Bewusstsein, wenn ich selbst nicht mitmobbe, bin ich nicht der Böse, habe ihn lange beschäftigt und führte letztlich zu der beobachtenden Perspektive, aus der der Roman erzählt wird.
Der Ich-Erzähler der Romanvorlage wird im Rollensplitting durch zwei Schauspieler und zwei Schauspielerinnen, die Einblick in die komplexe Seelenlage Kemis geben, verkörpert. Kemi, dessen Geschlecht im Roman eigentlich nie festgelegt wird, war – so verriet der Autor - in seinem Kopf ursprünglich ein Mädchen. Für die Leserschaft war es jedoch immer klar, dass Kemi als Junge gelesen wird. Diese Vielfalt wird von den vier Akteuren nuanciert abgebildet. So hadern die unterschiedlichen Seiten Kemis damit, Jörg beizustehen, die charmante Benisha anzusprechen („Crazy Little Thing Called Love“) oder sogar Marko und den Dreschkes, die Jörg die Hölle auf Erden bereiten („Another One Bites the Dust“), endlich die Meinung zu sagen.
Das Skript orientiert sich sprachlich und dramaturgisch an dem Roman, spielt jedoch auch mit den Leerstellen, die die Vorlage lässt, ohne diese konkret zu füllen und führt dieses Spiel weiter bis zum Ende. Die Frage, wie das Stück nun enden soll, bleibt tatsächlich dem Publikum und seinem Votum überlassen. Auf diese Reaktionen sind alle beteiligten Schauspieler, Musiker und technischen Helfer bereits gespannt. Denn in einer Zeit, in der es mehr und mehr darum geht, seine eigene Befindlichkeit zu pflegen und Menschen gegeneinander auszuspielen, möchte WOLF ein Zeichen setzen: ein Zeichen, einander ausreden zu lassen, denn einander ist alles, was wir haben.
Die Aufführungen sind am 13., 19., 20.09. um 19:00 Uhr und am 15.09. um 18:00 Uhr in der Aula des GO. Veranstalter ist der KSFO. Tickets sind über frankfurt-tickets erhältlich.