Das tragische Scheitern der Friedfertigkeit - Irre-Parabel begeistert und irritiert mit „Kein Krieg in Troja"
Letzte Woche lud die Theater-AG des Gymnasiums Oberursel „Irre-Parabel“ an drei Abenden zu Jean Giraudoux‘ Anti-Kriegsstück von 1935 „Kein Krieg in Troja“ in die Rotunde des Gymnasiums ein und präsentierte ein aufrüttelndes und überraschend aktuelles Theaterstück um Kriegstreiberei und vergeblichen Friedenswillen. Der Inhalt kreist um Hektors letztlich vergebliche Anstrengungen den Krieg um Troja zu verhindern, den sein Bruder Paris mit dem Raub der schönen Helena heraufbeschworen hat. In Sorge um das Wohl der Trojaner versucht der Königssohn alles Menschenmögliche, um den Krieg gegen die Griechen zu verhindern, und scheitert am Ende an unüberwindbaren Mechanismen, die zur Gewalt führen.
Die aktualisierende Inszenierung der „Irre-Parablen“ brachte den Zuschauern vor Beginn der Spielhandlung mit zwei Lesungen aus dem Off das Sterben im Irak-Krieg und den Tod eines deutschen Bundeswehrsoldaten in Afghanistan nahe und den Schmerz, den der Krieg von heute verursacht. Hektor, der Held von Troja und ältere Bruder des Paris, überzeugend dargestellt von Benjamin Roth, will diesen Schmerz und unnötiges Leid verhindern. Seine Schwester, die Seherin Kassandra, seine Mutter Hekuba und Andromache, seine Frau (Johanna Schwarz), unterstützen ihn in seinem Streben. Hektors Vater, König Priamus (Steffen Salzmann), dagegen ist ebenso wie die Mehrheit der Trojaner bis hin zu den „Mummelgreisen“ der Schönheit Helenas erlegen, und Schönheit macht bekanntlich blind für die Gefahr, die in diesem Fall von der Schönen (perfekt verkörpert von Aline Endreß) ausgeht. Bleibt die geraubte Helena in Troja bei Paris, so bedeutet dies Krieg mit den Griechen. Die Gleichgültigen und die Kriegsromantiker, zu denen auch der Dichter Demokos (Kim von Ciriacy-Wantrup-Martin, sehr ausdrucksstark in dieser Rolle) zählt, wollen diese Wahrheit nicht hören. Der Urheber des ganzen Dilemmas, Paris, schwärmerisch und verantwortungsschwach veranlagt, schwankt zwischen Einsicht und trotzigem Egoismus.
Und Helena, ist sie das Opfer des Krieges wert? Die Schöne pflegt die Gleichgültigkeit; ob sie Paris liebt und ihren verlassenen Gatten Menelaos hasst, mag sie nicht beurteilen. „Ich lasse das Weltall für mich denken“, ist ihre Devise. Sie reibt sich gern an Männern „wie an einem großen Seifenstück“, räkelt und langweilt sich und will sich vor allem nicht klar äußern. Wie wir später erfahren, hat sie – wohl als Folge einer schweren Jugend - auch für Mitleid nicht viel übrig. Hinter der Gleichgültigkeit schlummert offensichtlich eine tiefe Schmerzerfahrung, die sie nahezu perfekt übertüncht. Gleichwohl sagt Helena Hektor schließlich zu, nach Griechenland zurückzugehen und die Affäre mit Paris zu leugnen. Auch dieser willigt nolens volens ein, sodass der Frieden machbar erscheint, als die Schiffe der Griechen erscheinen.
Aber der Frieden ist eine falsche Hoffnung; dies zeigt schon die in blaues Licht getauchte Vision der Kassandra (Rebecca Stoll) mit einer Kampfszene zwischen Hektor und Ajax vor dem zweiten Teil des Dramas. Schuld daran sind auch die Intellektuellen, allen voran der Dichter und der Geometer (Viola Kühnel), die sich realitätsblind in Kriegslyrik und Kriegsbegeisterung ergehen. Zu Recht werden sie dafür von Königin Hekuba (überzeugend dargestellt von Clara Nigratschka) als „Gimpel“ gescholten. Den Gipfel verantwortungsloser Kriegsrhetorik aber liefert der Winkeladvokat und Völkerrechtler Busiris, der wortgewandt und windig drei Kriegsgründe liefert, nach Drohung Hektors aber genauso gewandt das Gegenteil abzuleiten vermag, köstlich dargestellt von Babette Marschner.
Auch Ajax, der Führer der Griechen (Kai Müller), ist ein echtes Friedenshindernis, will er doch ganz offensichtlich den Krieg, schon wegen des trojanischen Reichtums. Konsequent versucht er Hektor zu provozieren, doch dieser hält stand. Und auch Helena und der eitle Paris (Victor Tvrdy gelingt dessen Verkörperung gut) leugnen zunächst den Ehebruch und Kriegsgrund.
Doch dann überstürzen sich die Ereignisse: Die trojanischen Seeleute fühlen sich provoziert und bezeugen den Liebesakt zwischen Paris und Helena, sodass auch Paris aus Eitelkeit die tödliche Wahrheit gesteht. Nun können auch die Götter, vertreten durch die Götterbotin Iris (Alice Kluger) nur noch flehen, Helena möge vom nichtsnutzigen Paris getrennt werden. Der erfahrene Odysseus (Leonie Herzog) und Hektor führen zwar noch einen Wortwettstreit, es ist das „Duett“ vor der Schlacht, ob der Krieg noch zu verhindern sei, bei so viel „Geneigtheit“ für den Krieg. Einen Moment lang siegt die Vernunft, denn die beiden Recken einigen sich auf eine friedliche Lösung, doch dann nimmt das Unglück in Person des betrunkenen Ajax, der Andromache bedrängt, seinen Lauf. Der Kriegstreiber Demokos ergeht sich daraufhin in Kriegsgeschrei und wird im Affekt erstochen, ausgerechnet von Hektor, dem Friedenskämpfer. Sterbend noch bezichtigt Demokos Ajax des Mordes, der sodann als falscher Mörder erschlagen wird, und der Krieg bricht über die Trojaner und Griechen herein. Die persönliche Tragik Hektors und ein tragischer Schluss.
Ist also jede Gegenwehr gegen den Krieg zwecklos? „Irre-Parabel“ will widersprechen und tut dies kurz vor dem Ende des Stückes mit Worten Robert Kennedys, die dieser einen Tag nach der Ermordung Martin Luther Kings im Jahr 1968 sprach. Kennedy setzt die Brüderlichkeit gegen die Gewalt. Eine verzweifelte Hoffnung?
Ein beeindruckendes, wortgewaltiges Stück mit einer beängstigenden Aktualität, die sicher auch der Inszenierung geschuldet ist. Die Theatertruppe um die beiden Spielleiter Timo Vogt und Klaus-Dieter Köhler-Goigofski spielte lustvoll und kraftvoll und gab dem Sprachwitz von Giraudoux Raum. Irre-Parabel machte aber auch Ernst und zeigte desillusionierend die kaum überwindbaren Automatismen des Krieges auf. Viel Applaus und die Gratulation von Schulleiter Volker Räuber zur großartigen Leistung des Ensembles und des ganzen Teams beendeten diesen nachdenklichen Theaterabend.
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