Gymnasium Oberursel

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„Ich bin so knallvergnügt erwacht“ –

Deutschkurs des GO nahm an Poetry-Workshop mit Lars Ruppel in der Villa Kursana teil und schlug lyrische Brücken gegen das Vergessen (Fotos)

Am 21. April nahm der Deutschkurs Q2 von Kristin Weicht in der „Villa Kursana Oberursel“ an einem Workshop mit dem bekannten Poetry Slam-Poeten Lars Ruppel teil, dessen Ergebnisse den Demenzkranken der Seniorenresidenz vorgetragen wurden. Bei seinem Workshop in Oberursel nahm der deutsche Poetry-Slam-Meister 2014, der beruflich auch mit an Demenz erkrankten Personen arbeitet, die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Oberursel mit auf seinen Feldzug gegen das Vergessen. Mit seinem Projekt „Weckworte“ wirbt er eindringlich für einen respektvollen und wertschätzenden Umgang mit dementen Patienten und inspirierte so auch die Oberurseler Gymnasiasten in seinem knapp dreistündigen Workshop in der Kursana Villa Oberursel zu einer emotionalen und intellektuellen Begegnung ohne Berührungsängste. Die Seniorenresidenz Villa Kursana im Herzen von Oberursel unterstützt seit längerer Zeit kulturelle Projekte der Begegnung und würde gern das lyrische Projekt mit dem Gymnasium wiederholen, wie Direktorin Yvonne Otto betonte. Im Folgenden gibt Deutschlehrerin Kristin Weicht ihre Eindrücke vom Projekt mit Lars Ruppel wieder:

„Wenn ich mit Euch rede, könnt ihr mich alle gut hören und sehen. Ihr kommt alle mit ähnlichen Voraussetzungen zu mir und könnt Euch auf das einlassen, was ich Euch erzähle. Das ist bei den Senioren, die gleich kommen, anders. Da hat einer sein Hörgerät vergessen, der andere hat es zu laut eingestellt und hört nur Piepsen, der Dritte sieht fast nichts, der Vierte hat vergessen, warum er hier ist.“ Lars Ruppel hat sich viel vorgenommen mit seinem Workshop in der Residenz Kursana: Es geht darum, 20 Schülerinnen und Schüler eines Deutsch-Grundkurses Q2 (11. Klasse) des Gymnasiums Oberursel mit der Situation von Demenzpatienten vertraut machen und mit ihnen Gedichte einstudieren, die sie später den Bewohnern des Seniorenstifts vortragen sollen. Zweck einer solchen Übung ist es, Brücken zu den sich in sich selbst zurückziehenden Menschen zu bauen und neue Impulse in der Begegnung mit den Vergessenden zu setzen.

Das Projekt „Weckworte“ ist eine Fortführung der „Alz-Poetry“ des amerikanischen Poetry-Slammers Gary Glazner, der klassische Gedichte gegen das Vergessen einsetzt. Ruppel geht einen Schritt weiter, er konfrontiert die Demenzpatienten mit ihnen oftmals unbekannten Texten und Gedichten, um ihre Neugier anzuregen, einen neuen Reiz zu schaffen. Er setzt dabei Kehrreime, das Call-and-Response-Prinzip, Gedicht-Teilen und andere Methoden ein. Erlaubt ist, was das Erinnern fördert: „Die Texte müssen zu den Menschen passen!“

Lars Ruppel ist Autodidakt; alles, was er zum Schaffen braucht, findet er in sich selbst und in den Menschen, mit denen er arbeitet. Er lässt sich auf den Moment ein, auf das Gegenüber, vertraut seiner Intuition. Den Schülern des GO begegnet er sofort auf Augenhöhe, erzählt ihnen von seinem Leben, seinem Werdegang vom Punk zum Lyrikliebhaber und Wortjongleur. Es wird viel gelacht, viel verstanden. Offenheit schafft Offenheit.

Die Texte und Gedichte, die Ruppel ihnen mitgebracht hat, wählen die Schüler intuitiv aus und setzen sich mit ihnen auseinander. Lars Ruppel begleitet, fragt nach, macht Vorschläge, ergänzt, drängt aber nicht. Alles scheint sich wie von selbst zu finden.

Zweieinhalb Stunden später sitzen sie bunt durcheinander gewürfelt nebeneinander, Schüler neben Senioren, Lars Ruppel mittendrin. Schon bei den ersten Worten von „Dunkel war´s, der Mond schien helle...“ fallen mehrere Bewohner in die Verse mit ein, bei den später rezitierten Gedichten sprechen immer wieder viele aus dem Publikum mit. Katharina „schenkt“ jedem Bewohner einen Psalmenvers, Anton und Julian spielen Gülls „Büblein auf dem Eise“, Tessa und Annika tragen die „Kuh“ von Heinz Erhardt vor, Selin lässt mit Fromms „Was es ist“ die Liebe sprechen, Lea und Zilan inszenieren die „Loreley“ ,und Lars Ruppel ist er selbst: Moderator, Entertainer, Schauspieler, Regisseur, Conferencier. Einigen Bewohnerinnen stehen die Tränen in den Augen, als Lars Ruppel vor ihnen kniet, ihre alten Hände in seine jungen Hände nimmt und ihnen Tucholskys „Mutterns Hände“ widmet: „Hast uns Stulln jeschnitten, un Kaffe jekocht, un de Töppe rübajeschohm – un jewischt und jenäht un jemacht und jedreht ...alles mit deine Hände.“

„Weckworte“ erreichen die Menschen dort, wo sie sich selbst noch finden können, intellektuell wie emotional. Dabei kommt es auf die richtige Mischung aus Nähe und Distanz an, es muss vorsichtig ausgelotet werden, wie weit die Menschen sich innerlich einlassen. Manche klatschen gleich mit, andere verweigern sogar den Blickkontakt. Im Kursana ist die Annäherung gelungen, Publikum wie Schüler sind erfüllt und inspiriert von der intensiven Begegnung, die Stimmung ist lebendig. Nach dem Vortrag lächelt eine ältere Dame, deren Gesicht vorher ungerührt war, viele Bewohner bedanken sich bei den Schülern, es entstehen Gespräche, eine Bewohnerin spielt spontan Klavier.

Lea resümiert, noch nie ein solch „dankbares Publikum“ erlebt zu haben. Pflegekräfte und Leitung des Hauses wissen, dass sie in der Begleitung der Bewohner noch „wochenlang von dem Vormittag zehren werden“. Aus der Stimmung des Augenblicks ergibt sich bei den Jugendlichen der Wunsch, bald auch ohne Lars Ruppel wiederzukommen und die Begegnung zu suchen.

Nach so viel Anregung haben alle Hunger bekommen. Ruppel, um keinen Vers verlegen, schlägt vor, Ringelnatz zu einem allmorgendlichen Pflichtprogramm zu machen: „Aus meiner tiefsten Seele zieht mit Nasenflügelbeben / Ein ungeheurer Appetit / Nach Frühstück und nach Leben.“

(Kristin Weicht)

J. Niesel-Heinrichs (Pressesprecherin)                                                 V. Räuber (Schulleiter)




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