Die Herausforderungen vor Ort meistern – Informationsveranstaltung am GO zum Thema „Flüchtlinge im Hochtaunuskreis“
Wie haben der Hochtaunuskreis und die Stadt Oberursel auf den Flüchtlingsstrom reagiert, und welche Probleme stellen sich heute noch?
Bürgermeister Hans- Georg Brum zog nach anderthalb Stunden Podiumsdiskussion mit Schülerinnen und Schülern der E- Phase des Gymnasiums Oberursel am 12.6.2017 eine vorwiegend optimistische Bilanz zum Thema Flüchtlinge in Oberursel und dem Kreis, ohne dabei mögliche Problemfelder auszublenden. „Wir müssen uns den Herausforderungen stellen“, denn eine Integration der hier Bleibenden sei alternativlos. Ein finanziell so gut ausgestatteter Kreis wie der Hochtaunuskreis könne dies leisten.
90 Minuten hatten die Schülerinnen und Schüler in der voll besetzten Rotunde des Gymnasiums Oberursel Gelegenheit, sich fachkundig zum Thema „Flüchtlinge“ von Katrin Hechler, Kreisbeigeordneter im Hochtaunuskreis, Bürgermeister Hans-Georg Brum und Gabriela Wölki, Abteilungsleiterin bei der Stadt Oberursel, über die Aufgaben von Kreis und Stadt bei der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge informieren zu lassen. Oberursel war 2015 im Zuge des massenhaften Flüchtlingsstroms, wie viele Gemeinden auch, vor nicht leicht zu bewältigende Aufgaben gestellt worden. Von den 1000 erwarteten Flüchtlingen kamen tatsächlich 550, die kurzfristig in der Turnhalle an der Bleibiskopfstraße („Erstaufnahme“) aufgenommen und später auf andere Unterkünfte verteilt werden mussten. Die Fachschaft Politik und Wirtschaft wollte nun im Rahmen dieser Podiumsdiskussion einmal konkret nachfragen: Was genau hat sich seit 2015 getan und wie ist die aktuelle Situation derzeit? Was genau waren und sind die Aufgaben von Hochtaunuskreis und Stadt Oberursel? Welche Probleme gab und gibt es bei der Versorgung der Flüchtlinge?
PoWi- Lehrerin Jutta Niesel- Heinrichs , unterstützt von Martha Wiesenbart (E2), moderierte die Veranstaltung, die von Fachsprecher Andreas Schach organisiert worden war, und ermutigte die Schülerinnen und Schüler Fragen an die drei Experten zu stellen. Katrin Hechler betonte in ihren Ausführungen, wie wichtig es sei, Risiken und Befürchtungen offen anzusprechen, auch wenn der große Zustrom nun abgeebbt sei. Die wöchentlichen Ankunftszahlen von ca. 20 Flüchtlingen im Kreis seien wieder auf das Niveau von 2013 gesunken. Hechler erklärte ausführlich den Weg eines Flüchtlings über die Registrierung an den Grenzen, die Weiterleitung an die Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder, z.B. nach Gießen, inklusive medizinischer Untersuchung und Erstgespräch, bis hin zur Unterbringung in den Städten und Gemeinden der Kreise in Gemeinschaftsunterkünften, wenn eine Bleibeperspektive bestünde.
Im Hochtaunuskreis seien derzeit ca. 3600 Flüchtlinge in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht, berichtete die Kreisbeigeordnete. Nur wenige erhielten tatsächlich politisches Asyl, weit häufiger werde subsidiärer Schutz nach der Genfer Konvention oder auch eine Duldung ausgesprochen, da die Reise ins Heimatland nicht möglich sei. Dies gelte inzwischen auch für die meisten Flüchtlinge aus Syrien, denen als Bürgerkriegsflüchtlinge nur dieser einjährige subsidiäre Schutz ohne Möglichkeit des Familiennachzugs gewährt werde. Die Erfahrung mit Flüchtlingen vom Balkan in den 90er Jahren zeige auch deutlich, dass die allermeisten wieder zurück in die Heimat wollten, wenn dort Frieden herrsche.
Für unbegleitete minderjährige Jugendliche sei das Jugendamt zuständig, welches auch für die Erfüllung der Schulpflicht in sogenannten Intensivklassen, die sich meist an Gesamtschulen befänden, sorgen müsse. „Ohne Deutschkenntnisse funktioniert Integration nicht“, betonte Hechler überdeutlich und verwies auf die vielen Deutschkurse, die auch in Oberursel angeboten würden.
Gabriela Wölki ergänzte die Ausführungen von Katrin Hechler und stellte die konkreten Maßnahmen und Aktivitäten der Stadt Oberursel vor. Wichtige Aufgabe vor Ort sei vor allen Dingen die Bereitstellung von Gemeinschaftsunterkünften oder auch kleineren Wohneinheiten für anerkannte Flüchtlinge mit Bleiberecht. Die seien in Oberursel an geeigneter Stelle gefunden worden; auch seien neue Gemeinschaftsunterkünfte an den Drei Hasen entstanden. Zudem habe man durch Angebote aus der Bevölkerung 15 Wohnungen in Oberursel anmieten können. Bedeutsam sei darüber hinaus die Organisation eines speziellen Netzwerkes zur Flüchtlingshilfe mit über 400 Kontakten, 56 Institutionen, wie z.B. Büchereien oder Kirchen, und 255 registrierten freiwilligen Helfern. So habe ein großes Spektrum an Angeboten geschaffen werden können, z.B. Sport- und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche oder Unterstützung der sog. „InteA-Klassen“ im Zuge der Weiterbildung von Flüchtlingen, um die Kommunikation zu fördern und die tatsächliche Integration zu ermöglichen. Hans- Georg Brum nannte als positives Beispiel auch den Oberurseler Verein „Windrose“, der den Integrationspreis des Landes Hessens gewonnen habe.
Die sehr interessierten Schülerinnen und Schüler hakten in der offenen Diskussion mehrmals nach und stellten durchaus kritische Nachfragen zum Thema Kriminalitätsrate, Stadtentwicklung und Wohnungsbau in Oberursel, Arbeitsmarkt oder der Diskrepanz zwischen den vielen Menschen, die so gerne arbeiten und Teil der deutschen Gesellschaft werden wollen, und der deutschen Bürokratie, die so viele ausbremse. Die drei Experten zeigten sich offen für die Fragen der Oberurseler Schülerschaft, konnten auch einige Annahmen entkräften, mussten aber auch Probleme und anhaltende Schwierigkeiten eingestehen. Katrin Hechler verwies auf offizielle Statistiken, wonach sich die Kriminalitätsrate in Oberursel nach dem massenhaften Zuzug von Flüchtlingen nicht verändert habe: „Flüchtlinge sind nicht per se kriminell“. Die Gewalt innerhalb von Familien vor dem Hintergrund des rückständigen Frauenbildes sei aber ein Problem, dem man sich stellen müsse.
Hans Georg Brum stellte darüber hinaus drei konkrete Projekte zum Thema Wohnungsbau in Oberursel vor, die in Planung seien. Es herrsche allgemein ein Mangel an preiswertem Wohnraum, dieser sei aber nicht nur auf die Flüchtlingskrise zurückzuführen, betonte er. Auch beinhalteten Migration und Integration gewisse Chancen für das Aufnahmeland. Zwar sehe auch er einen Dissens in der Gesellschaft, der sich an der Flüchtlingsfrage entzündet habe und sich z.B. in der Erstarkung der AFD oder dem Brexit zeige, doch sei es gerade deswegen die Aufgabe der kommunalen Politik für geeignete Kommunikationsstrukturen zu sorgen und den Anschluss durch konkrete Handlungsfelder und Projekte zur ermöglichen. Gelinge die Qualifizierung von Flüchtlingen, wozu soziale Kontakte und fachliche Kompetenzen gehörten, dann könnten unserer Gesellschaft auch „Talente zufallen“ und womöglich offene Stellen in verschiedenen Bereichen besetzt werden. (slz)
J. Niesel-Heinrichs (Pressesprecherin) V. Räuber (Schulleiter)
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