Eine Erzählung, die Rätsel aufgibt – Reimund Groß trug Kafkas „Die Verwandlung“ werkgenau und variationsreich vor
Reimund Groß beherrscht seine Texte und die Figuren. Wenn er in seinen szenisch-dramatischen Vorstellungen, die Texte auswendig und mit sparsamen Requisiten vortragend, Werke wie Kafkas „Die Verwandlung“ lebendig werden lässt, wächst die Chance des Verstehens, vor allem auch für junge Zuschauer. Dies geschah auch bei der „Lesung“ dieses Klassikers der Weltliteratur vor Schülerinnen und Schülern der Jahrgangsstufe Q2 des Gymnasium Oberursels am 21. Juni in der Rotunde der Schule. Dass gerade Kafkas Werk schwer zu entschlüsseln ist, bezeugen schon ratlose Leserreaktionen aus der Entstehungszeit (*1912), die Groß anfangs zitierte und auf die auch Kafka keine Antwort zu geben vermochte („Wo ich bin, ist keine Klarheit.“)
In Kafkas irritierender Geschichte wacht der Handlungsreisende Gregor Samsa morgens zum Ungeziefer verwandelt in seinem Zimmer auf und kann fortan weder normal kommunizieren noch seiner Familie weiter als Hauptverdiener dienen. Die Reaktionen der Familienmitglieder, die zunehmend teilnahmsloser und aggressiver werden, galt es nun in unterschiedlichen Stimmen darzustellen – wie auch Gregor Samsas doppelte Identität als Mensch und Untier. Während der menschliche Gregor scheinbar selbstbewusst und pseudo-rational seine Lage reflektiert, zeigt die Käferstimme die zunehmende Verzweiflung des hilflosen Protagonisten auf, der sich windet, aber nicht mehr wehren kann. Am Ende stirbt der pflichtbewusste „Held“ als Opfer von Verwahrlosung und Brutalität durch die Familie.
Die Stimmlagen charakterisieren die anderen, die auf unterschiedliche Art zu Tätern werden: der intrigante Prokurist der Firma, der dem bewegungsunfähigen Samsa die Verletzung geschäftlicher Pflichten vorwirft und mit Entlassung droht; die anfangs hilfsbereite und empathische Schwester, die zusehends gleichgültiger und egoistischer wird; die mitleidig „singende“, aber sich von Ohnmacht zu Ohnmacht flüchtende Mutter; die teilnahmslos gaffenden Zimmerherrn; der von Altersschwäche erstarkende und zunehmend brutaler werdende Vater, der Gregor mit Äpfeln bombardiert und ihn dadurch schließlich tötet; die herz- und skrupellose Dienerin, die Gregors Leichnam am Ende „entsorgt“. Der Zuschauer leidet mit Gregor mit, der vom zunehmenden Egoismus der Familie seelisch und vom erstarkten Vater körperlich verwundet wird. „Weg muss es“, fordert die Schwester am Ende ganz radikal. Und nachdem das Untier, das noch zuletzt mit Rührung seiner Eltern gedenkt, krepiert ist, beginnt die Familie ein neues leichtes Leben. Was soll man davon halten?
Groß schafft es mit nur wenigen Requisiten vor allem mit seiner Stimme, Samsas wachsende Entmenschlichung und Not nachzuzeichnen. Ein Metronom macht etwa am Anfang des Spiels den Zeitdruck deutlich, unter dem Gregor Samsa tagein tagaus steht. Ein einfacher Stuhl dient als Bett, auf dem der Verwandelte sich hilflos windet und von dem er fällt – der Anfang vom Ende.
Die jugendlichen Zuschauer zeigten sich von Groß‘ schauspielerischer Leistung sehr beeindruckt, kam doch, wie Organisatorin Ulla Föller beim abschließenden Dank an Reimund Groß bemerkte, „das Widerliche“ des Geschehens durch das dramatische Spiel noch stärker heraus als beim bloßen Lesen. Da die Schülerinnen und Schüler das Werk schon im Deutschunterricht behandelt hatten, diskutierten sie dann aber auch mit dem Schauspieler über die von ihm gewählten Stimmlagen und sein Verständnis des Werks. (nlh) (Fotos: Föller)
J. Niesel-Heinrichs (Pressesprecherin) V. Räuber (Schulleiter)
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