Abgründe von Sinnleere und absurder Kommunikation (Foto)
„Die Coole Sängerin“ von Irre-Parabel überzeugt mit Spielfreude und irritierenden Dialogen
Die Theater-AG „Irre-Parabel" des Gymnasiums Oberursel führte am 8., 9. und 11. Mai „Die coole Sängerin“ nach Texten von Eugène Ionesco („Die kahle Sängerin“), Ken Campbell und Monty Python auf. Das Stück von Irre-Parabel erweist sich als eine Collage aus den Werken der bekannten Künstler und eigenen Szenen und steht in der Tradition des absurden Theaters. Sprachspiele und Wortkaskaden stehen im Mittelpunkt des eigenwilligen Geschehens, das viel Komik und manch satirisch-kritischen Blick auf zeitgenössische Absurditäten bereithält. In einer Szenenfolge brachten die sprachgewandten versierten 13 jungen Darsteller der Jahrgangsstufen E2-Q4 beste Unterhaltungsqualität auf die Bühne. Szenen des Alltags gewannen dabei ganz neue absurde Dimensionen. Die Zuschauer bedachten diese Leistung mit viel Gelächter und Applaus.
Ist es absurd, wenn das Bestellen einer Tasse Kaffee in einem Kaffeehaus zu einer höchst schwierigen Auswahlentscheidung wird? Ist es absurd, wenn Interviewpartner im Fernsehen nur leere Phrasen von sich geben? Und ist es absurd, wenn Patienten mit Fragebögen gequält anstatt angehört zu werden? Wer auf diese Fragen dreimal mit ja zu antworten geneigt ist, könnte sich als Fan des absurden Theaters entpuppen, zumindest hätte er seine Freude an den hintersinnigen Sprachspielen und bizarren, eigentlich alltäglichen Situationen, die von „Irre-Parabel“ in diesem Jahr zum Besten gegeben wurden.
Die Themen wechseln mit den Szenen, von denen einige aus Ionescos „Die kahle Sängerin“ stammen.
Durch die Szenen führen (und verbinden sie doch nicht) der desorientierte Feuerwehrmann (Svenja Thier), auf der verzweifelten Suche nach einem Brand, und das schnippische Dienstmädchen (Sophie Müller). So wird das Geschehen beiläufig kommentiert, wobei sich beide in phrasenhafter, sinnlos erscheinender Kommunikation ergehen.
Ratlosigkeit entsteht gleich zu Anfang, wenn der einzige männlich Darsteller (Marco Ernst) in einer Szene nach Monty Python ein Baby zur Welt bringt und die Anwesenden sich weder für „Mutter“ noch Baby oder gar Vater interessieren, sondern nur für die Publicity und die technische Ausrüstung des Kreissaals.
Pseudo-Interviews in einer Talkshow (Mira Schwarzer als Moderatorin) und ein sinnloses Säulendiagramm, das ein Statistiker (Kristin Teichert) mechanisch erklärt, tun ein Übriges. Dass Sportler-Interviews (Amelie Jung als Reporterin) oft sinnentleert sind, wird hier auf die Spitze getrieben. Die Akteure reden, ohne etwas zu sagen, die Kommunikation im Fernsehen ist mehr als hohl: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. (…) Es gibt nur eine Möglichkeit: Sieg, Unentschieden oder Niederlage.“
Das wirkt bekannt.
Irritierend absurd sind dagegen ein strammer Sergeant (Sofie Fedler), der seine Soldaten lieber zum Klavierspiel entlässt und am Ende allein über den Kasernenhof marschiert, und der irrwitzige „Mann, der nichts mehr unterscheiden kann“ nach Ken Campbell (Anne Marschner), weil er „in den Spalt zwischen den Dingen“ gerutscht ist.
Skurril wirkt die Klassenraumszene, eine Eigenproduktion der „Irre-Parablen“, mit sinnlosen Aufgaben, absurden Entschuldigungen (wer kennt sie nicht?) und höchst merkwürdiger Lehrer-Schüler-Kommunikation (Karina Rollow; Anne Marschner, Chiara Garcia, Clara Schmermund u.a.). Gleiches gilt für die „Party“, bei der zwei Hochschwangere (Paula Finke und Sophie Fedler) wortreich um die spätere Laufbahn ihrer ungeborenen Babys wetteifern. Mit 14 bei den „Klangzwergen“ und dann das Stipendium in Boston, so geht der Wettlauf um das „perfekte Kind“. Hier tummeln sich auch das angeberische Touristenpaar (Chiara Garcia und Anne Marschner), das den Beginn seiner Liebesbeziehung prahlerisch in vielen Versionen präsentiert, und die klischeehaft dumpfe Jugendclique („Ey, lass ma Chips holen“).
Als ein Highlight erweist sich die Kaffeehaus-Szene, in der zwei Paare auftreten. Das eine (Jara Müller-Kästner und Karina Rollow) scheitert fast an der Aufgabe, einen Kaffee zu bestellen, denn die Auswahlliste ist unendlich lang: „Cappucino, Latte Macchiato, Espresso, Doppio...“ usw. mit Kaffeesorten wie „Robusta, Arabica, Kolumbianisch, Äthiopisch, Himalayanische Perlbohnen, Tibetische Langbohnen…“ usw., von den diversen Milchsorten ganz zu schweigen. Das andere Paar (Sofie Fedler und Paula Finke) trifft aufeinander, kennt sich und kennt sich nicht, obwohl man doch die Wohnung und das Ehebett zu teilen scheint.
Am Ende kommt dann noch der „Grimme Schnitter“ (nach Monty Python) und holt ein amerikanisches und ein britisches Ehepaar beim Abendessen ab. Zu dumm, dass der Tod den „schönen Abend“ stört. Die Lachsschaumspeise ist schuld. So werden die vier abgeführt. Oder bleiben sie doch da?
Bekanntes und Irritierendes stoßen aufeinander, und hier wie in anderen Szenen wird man als Publikum in das Geschehen einbezogen, ohne es zu wollen. Insbesondere die Eigenproduktionen weisen Identifikationspotenzial auf.
Zumeist aber bringt das Nicht-Stück die Zuschauer in eine kopfschüttelnde Beobachterposition. Nichts stimmt mehr, es gibt keine Fakten (sic!), nichts Verlässliches, keinen Maßstab. Alle irren kunterbunt durch relative Raum- und Zeit-Dimensionen, die Sprache ist „Gewörtel“ und zugleich das Gegenteil davon, Gefühle sind übertrieben oder gar nicht präsent, jede/r kann jede/r sein, alles kann passieren oder auch nicht.
Zum Schluss bleibt der Eindruck großer inhaltlicher Relativität. „Die coole Sängerin“ zeigt damit eindrucksvoll eine Erfahrung, die in unserer Zeit nicht selten ist. Das Stück hinterlässt aber auch eine gesteigerte Aufmerksamkeit für hohle Phrasen und unechte Kommunikation.
So entkräftet die Theater AG unter der Spielleitung von Klaus-Dieter Köhler-Goigofski, Timo Vogt und Johanna Winter denn auch den Vorwurf, das absurde Theater sei „reaktionär“, weil es die Wirklichkeit erträglicher erscheinen lasse. Nein, meinen die Irre-Parabeln in ihrem Programm und Spiel, werfe es doch einen kritischen Blick auf die irre Wirklichkeit (absurde Wahlergebnisse eingeschlossen), die Uniformierung des Lebens und die Ausbreitung von Denk- und Sprachklischees.
Auffällig diesmal, dass neben 12 Mädchen nur ein einziger Junge mitwirkt. Weitere männliche Darsteller werden vermisst; das fällt allerdings gar nicht auf. Absurd? Nein, Folge einer überzeugenden Darstellungskunst der jungen Teamspieler, die gekonnt von einer Rolle in die nächste schlüpfen und 50 Seiten Text scheinbar mühelos und mit hoher Präsenz meistern. (nlh/ jun/ lin)
Jutta Niesel-Heinrichs (Pressesprecherin) Volker Räuber (Schulleiter)
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