Gymnasium Oberursel

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Das jugendliche Gehirn und seine (Sehn-)Süchte

 

Am Mittwoch, 02. November 2022, referierte Dr. Christoph Gerth, Chefarzt der Abteilung Allgemeinpsychiatrie 1 und 2 der Rheinhessen-Fachklinik Alzey,in der gut besuchten Aula des Gymnasiums Oberursel über die dauerhaft und intensiv schädigenden Einflüsse von Nikotin, Alkohol und vor allem Cannabis auf das Gehirn junger Menschen in der Zeit der Pubertät. Er brach dabei hochkomplexe medizinisch-biologische Sachverhalte auf ein allgemein verständliches Niveau herunter. Mit erschreckenden Beispielen und aktuellen Statistiken bzw. Forschungsergebnissen widerlegte er in seinem eineinhalbstündigen Vortrag Mythen und Verharmlosungen der genannten Rauschmittel. Unter dem Motto „Ich liefere Ihnen die Fakten, aber entscheiden müssen Sie selbst“ nahm er die zahlreichen jungen Zuhörerinnen und Zuhörer dabei in die Verantwortung. Organisiert hatte den Vortrag Biologielehrerin Heike Scholz.

 

Zunächst stellte Dr. Gerth eine DALY Statistik der WHO vor, die aussagt, dass bei Männern ca. 25% und bei Frauen ca. 30% dieser DALY (disability adjusted life years) durch psychiatrische Erkrankungen verursacht werden. Dazu gehören neben Demenz und Depressionen auch die Alkoholabhängigkeit und andere Suchterkrankungen. Daher stelle sich die Frage, was man selbst dazu beitragen könne, zu vermeiden, eines Tages zu den Kranken zu gehören.

 

Alle psychischen Erkrankungen seien zunächst einmal Erkrankungen des Gehirns, so Dr. Gerth. Die für alle Gehirntätigkeiten wichtige Myelinscheide entwickle sich während des ersten Lebensjahres eines Kindes. Ab dem Kindergartenalter komme dann die psychosoziale Entwicklung hinzu. So sei der erste Abschnitt der Gehirnentwicklung mit ungefähr sechs Jahren abgeschlossen. Bis zum zehnten Lebensjahr gebe es dann einen Stillstand.

 

Aber in der Pubertät, dem „Frühjahrsputz“ des Gehirns, werde das kindliche Gehirn einmal komplett auf adultes Gehirn „umgestellt“ und es erfolge eine Reduktion auf das Wesentliche. Dadurch erfolge eine Optimierung der neuronalen Netzwerke. Dieser Prozess ende nicht mit der Volljährigkeit am 18. Geburtstag, sondern sei bei Männern erst im Alter von 26 Jahren abgeschlossen, bei Frauen etwas früher im Altern von 24 Jahren. Während dieser ganzen Entwicklungs- und Optimierungszeit sei das menschliche Gehirn besonders anfällig für die schädlichen Einflüsse von Nikotin, Alkohol und Rauschmittel wie Cannabis. Die Folgen seien oft irreparable Psychosen, Depressionen und Ähnliches, so Dr. Gerth.

 

Gerade weil die Gehirnoptimierung nur einmal im Leben stattfinde, blieben die angerichteten Schäden bis zum Lebensende erhalten. Daher müsse man dort ansetzen, wo man sein Gehirn „erziehen“ kann, nämlich beim humanen Belohnungssystem. Alle Drogen schädigten mehr, als dass sie eine echte „Belohnung“ für das Verlangen des Menschen seien. Nikotin sei die Einstiegsdroge. Bereits das erste Rauchen einer Zigarette löse im Gehirn den Beginn der Sucht aus, so Dr. Gerth. Geschädigt würden aber fast im selben Ausmaß auch die Passivraucher.

 

Aber auch die Auswirkungen von Alkohol und Cannabis seien verheerend. So könne der im Rauschgift enthaltene Stoff „Δ9THC“ die Entwicklung des Gehirns möglicherweise beschleunigen und könne es dadurch letztendlich schneller altern lassen, so dass das Gehirnalter nicht mehr dem biologischen Alter entspreche. Folgen seien unumkehrbare psychotische Wahrnehmungsstörungen.

 

Daher gelte es, zu überlegen, wie man seine psychische Gesundheit trainieren könne. Dr. Gerth gab dem Publikum nun sechs Faktoren an die Hand, die das Basisprogramm dafür ausmachten: nicht Rauchen (und auch sonstige Drogen vermeiden), durch ausgewogene Ernährung ein gesundes Gewicht halten, ausreichend schlafen, sich möglichst viel bewegen, dadurch Stress abbauen und als Letztes soziale Kontakte pflegen. Schlaf sei besonders wichtig, da er eine Reinigungsfunktion für das Gehirn habe. Wer von einem Wecker geweckt werden müsse, habe noch nicht ausgeschlafen, so Dr. Gerth. Beim Punkt Bewegung müsse es kein Leistungssport sein, sondern es zähle jeder einzige Schritt. So könne man beispielsweise beim gemeinsamen Spazierengehen in der Natur die Bewegung mit der Pflege sozialer Kontakte sinnvoll verbinden.

 

Nach seinem eindrücklichen, intensiven und trotzdem teilweise humorigen Vortrag, der mit großem Applaus bedacht wurde, beantwortete Dr. Christoph Gerth, der diese Art von Prävention aus Überzeugung betreibt, noch eine halbe Stunde lang die zahlreichen Fragen des sehr interessierten Publikums. Insgesamt war es eine höchst gewinnbringende Veranstaltung für die anwesenden Schülerinnen und Schüler, Eltern und auch Lehrerinnen und Lehrer. Daher soll es im kommenden Jahr eine Wiederholung des Vortrags am GO geben. (jun)

 

Christina Jung                                                                                                                  Hans-Konrad Sohn

(Pressesprecherin)                                                                                                            (Interimsschulleiter)




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