„Wir können jemand für jemanden sein“ - Saša Stanišić zu Besuch am Gymnasium Oberursel
Am Freitag, 03.11.2023, war der mehrfach preisgekrönte Autor Saša Stanišić gleich zweimal zu Gast in der Aula des Gymnasiums Oberursel. Zuerst las er am Mittag für die Schülerinnen und Schüler aus seinem ersten Jugendroman „Wolf“ (2023) vor. Am Abend folgte dann eine Lesung aus dem Roman „Herkunft“, für den er den Deutschen Buchpreis 2019 erhalten hatte. Veranstalter der beiden Lesungen war der KSFO im Rahmen der Literaturtage Oberursel; organisiert und vorbereitet wurden beide Veranstaltungen von Dr. Diana Tappen-Scheuermann.
Zur Lesung aus „Wolf“ in der vollbesetzten Aula waren zahlreiche Schüler:innen des GO mit ihren Lehrkräften erschienen, aber auch Klassen der benachbarten Schulen nutzten die einzigartige Gelegenheit, einen berühmten Autor einmal live zu erleben. Saša Stanišić las nicht nur äußerst lebendig und mitreißend Ausschnitte aus seinem Jugendroman, er trat auch in Dialog mit vier Schülerinnen und Schülern des GO, Klara Unterbarnscheidt (8a), Theo Strich (10a), Helene Volk (10a) und Eylül Özbas (8c) sowie mit Dr. Diana Tappen-Scheuermann, die mit ihm in einer gemütlichen Leseinsel auf der Bühne Platz genommen hatten.
So erfuhren die Anwesenden, dass das Thema „Mobbing“, welches Saša Stanišić in „Wolf“ thematisiert, ihn seit über 20 Jahren beschäftigt. Er habe eine solche Situation nicht selbst erfahren, aber an einem Mitschüler miterlebt. Diesem habe er aus Angst, selbst zum Opfer zu werden, damals nicht geholfen, was er heute noch bedauere. Das Buch sei gleichzeitig ein Appell zu handeln, mehr zu machen als Kemi, der Ich-Erzähler des Romans. Dieser beobachtet messerscharf das Geschehen, agiert jedoch kaum. Eine andere Perspektive könne er, aus Respekt vor den Gefühlen der Opfer, nicht einnehmen, dies stehe ihm nicht zu.
Außerdem forderte Saša Stanišić die Schülerinnen und Schüler auf, mit seinem Text zu arbeiten, indem sie die offenen Stellen seines Romans selbst kreativ mit eigenen Texten füllten.
Auch am Abend wusste Saša Stanišić die 400 Besucher:innen der Lesung zu begeistern. Der Autor, der für seinen Sprachwitz und seine Lust am Vortrag bekannt ist, erzählte mehr als er las und riss das Publikum in seinen Bann. Johanna Mohr (Q1) und Dr. Diana Tappen-Scheuermann führten nach einem kurzen szenischen Intro das Gespräch mit dem Autor. So erfuhr das interessierte Publikum Hintergründe zum Roman und zur Poetologie Stanišićs. Der Humor in seinen Texten sei immer ein Wagnis, da er eine Nähe zur Tragik habe und man nie wisse, ob andere mitlachen könnten. Dennoch war es genau diese Mischung aus schmerzvoller Erkenntnis und gewitzten Sprachspielen, die das Publikum auch an diesem Abend berührten und zu großem Applaus bewegten.
Im letzten Teil seiner Autofiktion habe er sich mit dem Tod seiner Großmutter, deren Demenz Anlass des Textes war, auseinandergesetzt. Er habe durch den Spielmodus, der den Leser zum Handelnden macht, zu ihrem Ende eine Distanz geschaffen: „Es gibt Wege, einen Menschen in uns selbst leben zu lassen, in Erinnerungen oder in Fiktionen.“
Das Schreiben von „Herkunft“ sei eine Reflexion über die Frage „Was gehört zu mir, zu meinem Leben und Sein?“ gewesen. Diese bewusste Aneignung konterkariere den Zufall, der immer noch viel zu sehr über unsere Schicksale entscheide. Es war bemerkenswert und ehrt die Verbindung zwischen Publikum, Moderation und Autor, dass er sich dazu bewegen ließ, gerade das intime Heidelberg-Kapitel vorzulesen: „auch wenn es mich zerreißt“. In diesem Kapitel zeichnet Saša Stanišić den Übertritt des erzählenden Ichs in eine andere kulturelle Sphäre und entwirft dabei eine Soziologie der Stadt als Mikrokosmos, die er selbst nun als „mein Heidelberg“ bezeichnen kann.
Befragt zur aktuellen politischen Lage äußerte Saša Stanišić die Ansicht, die Zeit des Redens sei vorbei, was das Publikum mit Applaus honorierte. „Wir können jemand für jemanden sein“, so der Appell des Autors.
Christina Jung Dr. Alexander Begert
(Pressesprecherin) (Schulleiter)
Termine
WA-Woche (51.)
Spendenübergabe an UNICEF
Nachschreibtermin
Ökumenischer Gottesdienst
Weihnachtsferien
Heiliger Abend
1. Weihnachtsfeiertag
2. Weihnachtsfeiertag
Silvester
Neujahr