Gymnasium Oberursel

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Dramaturg und Schriftsteller Necati Öziri zu Gast am Gymnasium Oberursel

 

Am Dienstag, 12.11.2024, war der Dramaturg und Schriftsteller Necati Öziri zu Gast am Gymnasium Oberursel.  In der gut besuchten Aula der Schule las er aus seinem 2023 erschienenen Debütroman „Vatermal“, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand, und trat mit Jana Gaiser (E1), Mustafa Ordukaya (E1) und Sofia Valter (Q3) in Dialog über sein Werk. Auch Dr. Diana Tappen-Scheuermann, die die Lesung organisiert und vorbereitet hatte, war Teil der literarischen Gesprächsrunde. Veranstalter der Lesung war der KSfO im Rahmen der Literaturtage Oberursel.

 

Necati Öziri, 1988 im Ruhrgebiet geboren, ist u.a. Gewinner des Kelag-Preises beim Bachmann-Wettbewerb 2021. In seinen Lesungsblöcken aus den Kapiteln 1, 12 und 14 ließ er seine Figuren lebendig werden, vor allem den Protagonisten Arda. Dieser, Student der Germanistik, liegt mit einer lebensbedrohlichen Autoimmunerkrankung im Krankenhaus und schreibt im Angesicht des eigenen Todes an seinen ihm unbekannten Vater. Mit dem Laptop auf dem Schoß macht sich der Ich-Erzähler auf die Suche nach dieser Leerstelle, die gleichzeitig der Adressat der Erzählung ist: „Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war. Du sollst erfahren, wie es deiner Familie in Deutschland ging, wie der letzte Sommer meiner Jugend war, bevor fast alle meine Freunde verschwunden sind. Du sollst wissen, wie es war, als deine alten Freunde mir auf die Schulter klopften und sagten, ich würde irgendwann werden wie du: Held einer gescheiterten Revolution.“ Trotz der vielen Erinnerungsfragmente bleibt der Vater für Arda Fiktion. Doch je weiter der Roman fortschreitet, desto facettenreicher und nuancierter wird der Blick auf die Personen, die immer für Arda da waren: seine Schwester Aylin und seine Mutter Ümran. Und so ist der Roman eine Geschichte der radikalen Wahrheit, Wut, Kraft, Liebe und Sehnsucht.

Gebannt lauschten die Anwesenden dem Vortrag, litten, lachten, fragten und trauerten mit Arda um entgangene bzw. versagte Möglichkeiten.

 

Im literarischen Gesprächskreis, der in einer Art Wohnzimmeratmosphäre auf der Bühne stattfand, nutzten Jana, Sofia, Mustafa und Dr. Tappen-Scheuermann die Möglichkeit, ihre Gedanken, Fragen und Kritik zu dem Roman zu äußern. So erfuhren sie und das Publikum, dass das Setting im Krankenhaus, das den Rahmen um die Erzählung bildet, für den Dramaturg Öziri eine Art „Theaterbühne“ bildet, bei der die unterschiedlichen Figuren auf- und wieder abtreten. Zudem seien einige Kapitel, deren Inhalt den Schülerinnen und dem Schüler an manchen Stellen für die Nachvollziehbarkeit der Handlungsbruchstücke fehlte, dem Lektorat zum Opfer gefallen, erklärte der Autor, beispielsweise, wie Arda zum Germanistikstudium gekommen sei. Von den etwa eintausend Seiten, die er für den Roman beim Verlag eingereicht habe, seien nur rund dreihundert in das Werk eingeflossen.

 

Öziri lobte die sehr genaue Textkenntnis der jungen Lesenden und freute sich über ihre Rückmeldungen. Ursprünglich sei „Vatermal“ ein Theaterstück gewesen, das aus einem einzigen langen Monolog Ardas bestanden habe. Später habe er dann gemerkt, dass er auch Ümran und Aylin „eine Stimme geben“ wolle, um ihnen eine Art literarischer Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Daraus habe sich dann der Roman entwickelt. Sein Schreibprozess sei aber nicht danach verlaufen, dass er ein Stück zu einem bestimmten Thema habe schreiben wollen, mit dem er habe Kritik üben wollen und aus dem man etwas lernen könne, sondern er wolle zum Nachdenken anregen, ohne der Leserschaft etwas aufzuzwingen. Sein Protagonist Arda, in dem sich alle aktuellen sozialen Probleme vereinen (entstammt einer alleinerziehenden Familie mit Migrationshintergrund aus dem Ruhrgebiet), entwickelt sich dank starker Frauenfiguren zu einem Abiturienten, der anschließend Germanistik studiert.

 

Am heutigen Literaturunterricht in der Schule kritisierte Öziri die oft eindimensionale Vorgehensweise, die meist nur die Einordnung in einen historischen Kontext im Fokus habe. Viel sinnvoller sei es seiner Meinung nach, auf die alten Geschichten „heutig draufzugucken“ und zu überlegen, „Was fehlt? Was wurde nicht erzählt? Welche Figuren kommen kaum oder gar nicht zu Wort?“. Gerade diese Leerstellen zu füllen könnte für die heutigen Schülerinnen und Schüler gewinnbringender Literaturunterricht sein.

Auch heutige „moderne“ Theateraufführungen hielten die alten Texte für heilig und versuchten oft krampfhaft, die zum Teil nicht mehr aktuellen und zeitgemäßen Themen und Probleme auf die heutige Zeit zu übertragen. Dadurch verliere das Theater gerade an erzieherischer Funktion.

 

Ergriffen folgte das Publikum zum Abschluss noch einem Ausschnitt aus Kapitel 14, bei dem die nachdenkliche Sehnsucht Ardas besonders spürbar wurde. Nach einem kurzen Moment der Stille wurde der Schriftsteller dann aber mit großem Applaus dankbar verabschiedet. Auch Friederike Pitsch, Leiterin des Fachbereichs I am GO, bedankte sich im Namen der Schulleitung bei Necati Öziri sowie Jana Gaiser, Sofia Valter, Mustafa Ordukaya und Dr. Diana Tappen-Scheuermann für einen beeindruckenden und wunderbaren Abend. Ihr Dank galt auch dem KSfO sowie dessen Sponsoren Taunus-Sparkasse und Stadtwerke Oberursel, Theo Strich (E1), Zara Frönicke (Q3) und Johanna Mohr (Q3) für die Mithilfe bei der Vorbereitung und dem Bühnenbild sowie Jonathan Wrede und Florian Friesenhahn mit ihrem Team für die Aula-Technik.

 

Im Anschluss ließ sich Necati Öziri mit vielen Schülergruppen und Einzelpersonen fotografieren, bevor er noch zahlreiche Exemplare seines Werkes, die man auch vor Ort an einem Stand der Buchhandlung Libra erwerben konnte, signierte. (jun)




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