„Mensch sein bedeutet, sich um etwas zu kümmern“ – Autorin Milena Michiko Flašar zu Gast am Gymnasium Oberursel
Am Freitag, 07.11.2025, fand in der vollbesetzten Rotunde des Gymnasiums Oberursel eine Autorenlesung mit der österreichisch-japanischen Schriftstellerin Milena Michiko Flašar statt. Sie las aus ihrem Werk „Oben Erde, unten Himmel“. Die Lesung, die im Rahmen der Oberurseler Literaturtage zum diesjährigen Thema „Verzicht. Verlust. Gewinn“ stattfand, war eine Kooperation mit der katholischen Pfarrei St. Ursula in Oberursel und Steinbach. Veranstalter war der Kultur- und Sportförderverein Oberursel e. V. (KSfO). Michael Schrom und Pastoralreferentin Susanne Degen von der Pfarrei St. Ursula führten moderierend durch die Lesung. Dr. Diana Tappen-Scheuermann führte durch die anschließende Fragerunde, bei der die Autorin auch Fragen zu einem ihrer anderen Werke, dem Roman „Ich nannte ihn Krawatte“, beantwortete. Dieser hat sich am GO als Lektüre in der E-Phase bewährt.
In seiner Begrüßung zog Michael Schrom Parallelen vom herbstlich nass-kaltem Wetter draußen auf dem Schulhof zur Einsamkeit Suzus, der Protagonistin des Romans. Durch ihre Arbeit bei einer Reinigungsfirma, die die Wohnungen einsam verstorbener Menschen, so genannter Kodokushi, säubert, werde sie mit ihrem eigenen Alleinsein konfrontiert. Im Laufe der Romanhandlung werde aus der Außenseiterin Suzu und ihren Kollegen, ebenfalls fast alle Außenseiter, nicht nur eine Gemeinschaft, sondern am Ende habe sich sogar eine Freundschaft entwickelt.
Milena Michiko Flašar las insgesamt vier Textstellen aus Ihrem Werk, das trotz seines eigentlich recht düsteren und traurigen Themas sehr viel feinen Humor und noch mehr Optimismus enthält. Beim Vorlesen erweckte die preisgekrönte Autorin ihre Figuren mitreißend zum Leben. Das Publikum fühlte und lachte mit Suzu, Takada, Herrn Sakai und den anderen mit, die alle ihr eigenes spezielles Schicksal haben und in ihrer Arbeit, dem Dienst an den Verstorbenen, den sie einfühlsam und würdebewahrend ausüben, positiv miteinander verbunden sind.
Zwischen den Textpassagen gingen Susanne Degen und Michael Schrom mit der Autorin in den Dialog. Daraus erfuhr das Publikum, dass Suzu, die bisher in ihrem 25-jährigen Leben nur eigentlich „beziehungslose Beziehungen“ geführt hatte, von Herrn Sakai lernt, dass Mensch sein bedeutet, sich um etwas zu kümmern. Anders als in Deutschland, wo es auch Menschen gebe, die einsam und allein in ihren Wohnungen verstürben, ohne dass es jemand mitbekomme oder sie vermisse, habe man dafür in Japan sogar einen speziellen Begriff: Kodokushi. Insgesamt setze man sich in Japan anders mit dem Tod auseinander. Er gehöre zum Leben und sei von diesem nur wie durch einen dünnen Vorhang getrennt. Es gebe auch sehr viele unterschiedliche Bezeichnungen für den Tod, je nachdem, in welcher Situation sich die verstorbene Person vor ihrem Tod befunden habe. Auch die Tuschezeichnung, die an der Wand in Herrn Sakais Büro hänge, habe eine symbolische Bedeutung: Manche Menschen nähmen Wege auf sich für jemand anderen. Insgesamt empfinde sie die Leserschaft ihrer Werke als Mitschöpfende, so Milena Michiko Flašar.
In der an die Lesung und den Dialog anschließenden Fragerunde, die von Dr. Diana Tappen-Scheuermann moderiert wurde, konnte das Publikum, darunter auch einige Schülerinnen und Schüler des GO, noch weiteres Interessantes erfahren. Sie habe schon immer gern gelesen und auch geschrieben, so die Autorin. In der Literatur gehe es um Mitgefühl und sowohl beim Schreiben als auch bei Lesungen sei das Memento Mori dabei. Liebe, Leben und Tod seien die drei klassischen Themen in der Literatur. Die Figuren in ihren Romanen entstünden in ihrem Kopf durch ein starkes Gefühl für den jeweiligen Stoff, der sie immer sehr packe, und während des Schreibprozesses würden diese Figuren dann entscheiden, was passiert. Auch ihr jeweiliger Sprachstil passe sich den Figuren an. So zeigten verkürzte Sätze beispielsweise, dass eine Figur lange nicht gesprochen habe. Milena Michiko Flašar nennt dieses Vorgehen „intuitives Schreiben“. Durch dieses Arbeiten ohne Konzept gebe es natürlich aus Phasen mit Versuch und Irrtum, aber insgesamt mache ihre Arbeit ihr viel Spaß. Einige ihrer Werke seien in Japanische übersetzt worden und würden dort als Texte einer Halb-Japanerin rezipiert, die eine Außensicht auf die japanische Kultur habe. „Danke“ und das absolut bedeutungsgleiche „Arigatō“ seien ihre Lieblingswörter bzw. Lieblingswort.
Diesem Wort schloss sich Michael Schrom am Ende der höchst gelungenen Veranstaltung an, die vom Publikum mit lange anhaltendem Applaus belohnt wurde. Zahlreiche Zuschauende nutzten noch die Gelegenheit, am Bücherstand der Buchhandlung Libra aus Oberursel, der von Inhaberin Antonia Stock persönlich betreut wurde, Werke von Milena Michiko Flašar zu erwerben und sich von der Autorin signieren zu lassen.
Milena Michiko Flašar, geboren 1980 in St. Pölten, hat in Wien und Berlin Germanistik und Romanistik studiert. Sie ist die Tochter einer japanischen Mutter und eines österreichischen Vaters. Ihre Romane „Ich nannte ihn Krawatte“ und „Herr Kato spielt Familie“ wurden mehrfach ausgezeichnet und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Wien. Der Roman „Oben Erde, unten Himmel“ wurde 2024 mit dem Evangelischen Buchpreis ausgezeichnet.
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